Was bleibt ist die Erinnerung

Kritische Erinnerungsarbeit der Enkel*innen-Generation deutscher Familien. Ein Seminar in 3 Blöcken: Oktober, Dezember 2018 und Februar 2019.

Was haben eigentlich meine Großeltern während des Nationalsozialismus getan? Diese Frage stellen sich viele Enkel*innen der Zeitzeugen des Nationalsozialismus im Laufe der Jahre. Doch die Informationen, die sie erhalten, sind meist spärlich oder lückenhaft, kaum mehr als Fragmente einer Erzählung. Mit dem Sterben der Zeitzeugengeneration bleiben von dieser Epoche in den Familien nicht mehr als ein paar Fotos aus dem Familienalbum und eben jene Erzählfragmente über den Alltag des „Russlandfeldzuges“ oder das beschwerliche Leben in zerbombten Städten. Diese meist mehr oder weniger harmlosen Anekdoten kontrastieren dabei scharf mit dem offiziellen Gedenken an die Opfer des NS und dem historischen Wissen über den Faschismus. In den allermeisten Familien bleibt der Eindruck, der Nationalsozialismus habe stets an einem anderen Ort und mit unbekannten Akteur*innen stattgefunden, man habe nichts tun können und versucht anständig zu bleiben. Dass dies angesichts der Massenbasis des Faschismus nur für einen kleinen Teil der Familienerzählungen zutreffen kann, mag Anlass sein, die eigene Familienerzählung kritisch zu hinterfragen.

Dieses Seminar soll die Gelegenheit geben, gemeinsam mit anderen die Erzählungen über den Nationalsozialismus in der eigenen Familie zu untersuchen, auf Widersprüche abzuklopfen, die eigenen Interessen darin sichtbar zu machen und ein kritisches Verhältnis zur eigenen Familienerzählung zu entwickeln. In einem zweiten Teil wollen wir mit Hilfe einer angeleiteten Archivrecherche Daten und Fakten über die eigenen Großeltern ermitteln und mögliche Lücken in den Erzählungen herausarbeiten. Dabei orientieren wir uns an der Methode „Erinnerungsarbeit“ von Frigga Haug. Die Seminargruppe soll sich dabei im Sinne einer Forschungsgruppe gegenseitig unterstützen und einen Rahmen für die Auswertung der Untersuchung bieten. Der Verlauf der Recherche und die Auswirkungen eventueller Familiengespräche werden in einem dritten Seminarblock reflektiert.

Das Seminar richtet sich explizit an die Enkel*innen von Familien, die sich während des NS als Teil der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland verortet haben. So genau dieses Seminar auf die Belange dieser Zielgruppe zugeschnitten ist, so wenig wird es den Anforderungen von Menschen gerecht, die Angehörige von Überlebenden des NS sind oder deren Familien sich während des NS nicht in Deutschland verortet haben.

Seminarablauf (3 Blöcke)

Block 1: 26.-28. Oktober 2018 (Fr 19-21 Uhr, Sa 10-18 Uhr, So 10-16 Uhr)

Nach einem Auftakt am Freitagabend, sollen am ersten Wochenende vor allem die Mechanismen von Familienerzählungen beleuchtet werden. Neben theoretischen Inputs steht dabei das Bearbeiten von eigenen Erzählfragmenten im Vordergrund, die häufig aus nicht mehr als einer groben Orts- und Tätigkeitsbeschreibung bestehen; „der Opa war irgendwo in Russland. Ich glaube die mussten viel marschieren, war wohl ein einfacher Soldat, ob der an Verbrechen beteiligt war, weiß ich nicht... ich glaub aber eher nicht.“ Die Methode und Hintergründe der von Prof. Frigga Haug entwickelten und erprobten „Erinnerungsarbeit“ bieten dafür den grundlegenden Arbeitsansatz. Neben dem individuellen Verfassen von Geschichten, erfolgt die weitere kollektive Bearbeitung in der Seminargruppe. Neben den Erzählfragmenten selbst wird auch erörtert wie diese Erzählungen in den Familien weitergegeben werden (Erzählsituation, Stimmung, welche sagen was, welche sagen nichts...).

Block 2: 08. und 09. Dezember 2018 (Sa 10-18 Uhr, So 10-16 Uhr)

Am zweiten Wochenende steht die Recherche im Vordergrund. Nicht wenige Enkel*innen haben Dokumente und Unterlagen zusammengesammelt, mit Verwandten gesprochen, und sich Aufzeichnungen gemacht. Doch im betriebsamen Alltag stellt die Auswahl des richtigen Archivs, oder auch das Formulieren einer Anfrage jene Hürde dar, die dazu führt, dass sich letztlich nur wenige auf den Weg machen, den Erzählungen auf den Grund zu gehen und sie mit historischen Fakten abzugleichen. Im Seminar wird daher konkret der Frage nachgegangen, aus welchen Archiven welche Informationen zur Großelterngeneration gewonnen werden können, was aus den bereits bekannten Dokumenten geschlossen werden kann und welche Fachleute dabei hilfreich zur Seite stehen können.

Block 3: 01.-03. Februar 2019 (Fr 19-21 Uhr, Sa 10-18 Uhr, So 10-16 Uhr)

An diesem Wochenende können die Teilnehmenden den bisherigen Verlauf der Recherche und die Auswirkungen eventueller Familiengespräche reflektieren.

 

Referenten:

Daniel K. Manwire (Jhg. 1971) Biologe und Sozialpädagoge. Beschäftigt sich seit 2005 mit dem Thema Familienerzählungen zum NS, auch in der eigenen Familie. 2008 die Diplomarbeit zum Thema: Von der Schwierigkeit im Hause des Henkers vom Strick zu sprechen, zum intergenerationellen Sprechen deutscher Familien. Seit 2017 bei der Beratungsstelle empower von Arbeit und Leben in Hamburg beschäftigt. Er ist unter anderem - wie Rainer Piatkowski - freier Mitarbeiter des Bildungsbüro Hamburg .

Rainer Piatkowski (Jhg. 1970) Sozialpädagoge. Der Besuch eines Seminares mit dem Titel „Opa war kein Nazi“ war 2005 Ausgangspunkt für das Interesse an dem Thema Familienerzählungen zum Nationalsozialismus. 2007 Diplomarbeit zum Thema: Verbrechen begegnen – Zum Umgang Sozialer Arbeit mit Erinnerungen an den Nationalsozialismus.

Der Preis in Höhe von 250€ versteht sich inklusive Übernachtungen in einem DZ und Vollverpflegung. 

Anmeldung bitte bis zum 31. August 2018 über unten stehendes Formular.

Fragen zur Anmeldung und zum Ablauf des Seminars können an die Seminarleitung Olan Scott Pinto, Jugendbildungsreferentin im Schwerpunkt „Erinnerungskultur und Teilhabe“ der Jugendbildungsstätte Bremen gestellt werden.

Kontakt: Tel. (0421) 69272-14 oder per E-Mail: [scott.pinto@lidicehaus.de

](file:///C:/Users/SABINE~1/AppData/Local/Temp/scott.pinto@lidicehaus.de)


Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Bildungsbüro Hamburg.